Dschinni ist ein Genie, hat alles erlebt, viel zu viel zu erzählen, lebt in der Einraumwohnlampe und sollte täglich protestieren, dass endlich das Musical „Aladdin“ nach dem Zeichentrickfilm von 1992 nach ihm benannt wird. Denn er bzw. sein Hauptdarsteller Enrico De Pieri ist der Star des Abends, der etwas aus seiner Figur macht. Alle anderen bleiben klischeehafte, zweidimensionale Disneycharaktere, was eher nicht an den Darstellern, sondern am schwachen Bühnenbuch zum Erfolgsfilm liegt.
Enrico De Pieri gewinnt als Dschinni durch Präsenz, Einfallsreichtum und Können. Verdientermaßen ist er für einen wörtlich zu nehmenden Showstopper verantwortlich. Das kann nicht genug gelobt werden. Doch man sollte auf Comedy und ein Comedymusical mit viel Gequatsche und wenig Tiefgang eingestellt sein.
Der Berliner Richard-Salvador Wolff bleibt der eindimensionale Draufgänger Aladdin, der gerne alle anlügt und charmant drüber hinweg lächelt. Könnte man nicht mehr Brüche, Fragen und Zweifel in den Charakter einbauen? Und bitte mehr Tanz mit Artistik für weniger Herumgerenne. Ihm fehlen einfach Momente, wo er sein Können herausstellt.
Myrthes Monteiro fällt als Prinzessin Jasmin zunächst mit schlechtem Dialog auf, um danach das bockige Girlie zu geben, was sich selbst den Ehemann aussuchen möchte. Weitere Charaktereigenschaften? Und das soll das Publikum glauben, wo die Geschichte zu märchenhaften Zeiten im fernen Orient spielt? Doch beide jungen Darsteller sprechen ihre Texte ohne Betonung der Satzzeichen – und verlieren jegliche Mehrdimensionalität an die anderen Solisten. Ganz schwache Dialogregie.
Ethan Freeman erweckt den Bösewicht Dschafar aus dem Film zum Leben und ist zusammen mit Diener Jago (Eric Minsk) ein starkes Gegengewicht, was einiges an Comedy – wie Dschinni – beitragen wird.
Das ansonsten Nunja-Buch hat quasi Disney-untypisch die Filmtierfiguren in Personen umgedeutet, was beim Papageien Jago im Dialog sogar thematisiert wird. Und so bekommt Aladdin drei Klaukumpels als beste Freunde – bis Dschinni erscheint – dazu. Doch auch sie sind luxusiös tanzende und singende Oberfläche.
Die 15er Band unter Klaus Wilhelms Leitung macht gut Rhythmus und begleitet gut. Der Ton ist großartig, die Stimmen sehr präsent und genau verortet – und das in diesem riesigen Theaterraum.
Das Licht ist fantastisch und einfallsreicher als das Bühnenbild und die Kostüme. Für die ersten Szenen im Palast gibt es immer Vorbühnendialoge – naja. Jedenfalls ist das Prospekt dahinter Dank Projektionen sehr plastisch.
Regie und Choreographie von Casey Nicholaw ist passend und zweckmäßig, ohne dabei wirklich herausragend zu sein. Die 9-Minuten-Kumpelnummer nach 54 Minuten bildet da eine nötige, ersehnte Ausnahme – keineswegs überraschender Showstopper, so wie es sein sollte und muss. Herausragend sind aber im zweiten Teil die Verfolgungsjagd und der Flug mit dem fliegenden Teppich „In meiner Welt“. Damit wäre dann auch das dramaturgische Schnittmuster von „Die Schöne und das Biest“ erfolgreich kopiert. Plus Musicalklischee mit einem fliegenden Element, was ich auch faszinierend finde, auch wenn – oder gerade weil – ich die Seile deutlich sehen konnte.
Und bitte streicht den Satz mit dem „stehe da, wo ich stehe“!
Erstklassig gemachte Comedy, tolle Momente, oft sich selbst nicht zu ernst nehmend, doch wirklich verpasst man nichts. Also nicht schlimm, wenn mans nicht gesehen hat – außer Enrico De Pieri als Dschinni. Der ist wirklich herausragend.
Aladdin
von Alan Menken, Howard Ashman, Tim Rice und Chad Beguelin, Deutsche Liedtexte: Kevin Schroeder und Heiko Wohlgemuth, Deutsche Dialoge: Ruth Deny
Europäische Erstaufführung am 6. Dezember 2015 in der Neuen Flora Hamburg
Regie & Choreographie: Casey Nicholaw | Co-Regie: Scott Taylor | Musikalische Leitung: Klaus Wilhelm | Co-Choreographie: John MacInnis | Bühnenbild: Bob Crowley | Kostüme: Gregg Barnes | Tongestaltung: Ken Travis | Lichtgestaltung: Natasha Katz | Specialeffekte: Jeremy Chernick
Aladdin: Richard-Salvador Wolff | Prinzessin Jasmin: Myrthes Monteiro | Dschinni: Enrico De Pieri | Dschafar: Ethan Freeman | Jago: Eric Minsk | Kassar: Philipp Hägeli | Babkak: Stefan Tolnai | Omar: Pedro Reichert | Sultan: Claus Dam
Ensemble:Azzurra Adinolfi, Danilo Aiello, Terry Alfaro, Gregory Antemes, Mickey Junior Ayer, Alexander Bellinkx, Gabriele Bruschi, Alessandro Cococcia, Rossella Contu, Fabiana Denicolo, Giovanni, Johnny Galeandro, Zoe Leone Gappy, Sophia Gorgi, Kisha Howard, Vladimir Hub, Alessio Impedovo, Kristina Love, Dave Mandell, Salvatore Marchione, Laura Panzeri, Richard Patrocinio, Patrick Robinson, Jochen Schmidtke, Kris Siekerman, Mark van Beelen, Giulia Vazzoler, Andrew Walters, Tobias Weis, Kristofer Weinstein-Storey
Hintergründiges zur Entstehungsgeschichte: https://alleseintheater.wordpress.com/2015/12/06/06-12-15-1-ee/
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