Mit The Green Knight nicht auf einen grünen Zweig gekommen

Größtmögliche Erwartungen setzende Filme können auch extreme Enttäuschungen sein. Die teure Adaption der Ritterromanze mit eingeblendeten Zwischenkapiteln folgt zwar der Vorlage um den gerne auch ein Ritter sein wollenden Gawain / „Sir Gawain und der Grüne Ritter“, doch besitzt der Film keinen spürbaren Standpunkt, Ziel oder Aussage. Einzig vielleicht die Erkenntnis des Helden, auf die Hilfe von Magie bewusst zu verzichten. Und sich seinen Fehlern und Handeln zu stellen. Denn der Green Knight hatte die im weihnachtlichen Rund speisenden Ritter herausgefordert, ihn mit dem Schwert zu treffen. Gawain schlägt ihm schnell mal den Kopf ab, was die anderen Schlauen tunlichst vermieden. Doch der berittene, magische Green Knight überlebt dies locker und erwartet Gawain in einem Jahr zur Revange!

In diesem düsteren Film, wo es weniger Licht und viel zu viel Schatten zu entdecken gibt, setzt nun die Heldenreise ein: auf der Suche nach der Grünen Kapelle. Was wird der Weg bringen? Die magischen, mittelalterlichen Stationen werden durchschritten und mit Aufwand abgearbeitet. Sinnbildlich ohne Sinn und Gleichnis wird Gawain von einem (schlauen) Fuchs begleitet. Auch die Schlossszenen bleiben mir verschlossen. Soll das Fotografie, Malerei oder doch Magie sein? Und warum besteht der Schlossherr darauf, den Kuss ebenfalls von Gawain zu bekommen? Hat letzterer ihn nun ihr gegeben oder von ihr empfangen?
Auch wenn die Darsteller viel eigenes in ihren Rollen zeigten, kam ich mit The Green Knight nicht auf einen grünen Zweig.

The Green Knight
USA, Irland 2021, 130 Minuten
Der Kinostart wurde ursprünglich für den 28. Mai 2020 angekündigt, wurde jedoch aufgrund der COVID-19-Pandemie auf den 29. Juli 2021 verschoben.
Regie & Drehbuch: David Lowery | Musik: Daniel Hart | Kamera: Andrew Droz Palermo | Schnitt: David Lowery
Gawain: Dev Patel | Lady / Essel: Alicia Vikander | Lord: Joel Edgerton | die Mutter: Sarita Choudhury | der König: Sean Harris | die Königin: Kate Dickie | Scavenger: Barry Keoghan | Winfred: Erin Kellyman | der Green Knight: Ralph Ineson

The Green Knight – Kinostart am 29. Juli 2021

Sweeney Todd in der Musikalischen Komödie Leipzig

Statt am 20. Februar 2021 oder am 5. Juni 2021 war nun am 26. Juni 2021 „Sweeney Todd“-Premiere an der Musikalischen Komödie Leipzig. Die zweite Neuproduktion nach der langen Renovierung. Die Zuschauer saßen mit Abständen zu anderen Gruppen im Theater. Leider verzichtete das Land Sachsen nicht wie andere Bundesländer auf den Maskenzwang während der Vorstellung. Das erleichterte mir die Entscheidung, auf alle Fälle NICHT extra hinzufahren. Gerne, wenn es halbwegs annehmbare Randbedingungen für einen Theaterbesuch wieder geben sollte. Zwölf teilweise unvergessene Inszenierungen sind bei mir noch in Erinnerung.

Die Verschiebungen und andere Umstände hatten auch Veränderungen in der Besetzung zur Folge.
LEITUNG Inszenierung & Licht Cusch Jung | Musikalische Leitung Stefan Klingele / Christoph-Johannes Eichhorn | Bühne, Kostüme Karin Fritz | Choreinstudierung Mathias Drechsler | Dramaturgie Nele Winter |
BESETZUNG Sweeney Todd Jan Ammann –> Vikrant Subramanian | Mrs. Lovett Sabine Töpfer | Die Bettlerin Nora Lentner –> Julia Lißel | Tobias Anna Evans | Johanna Katia Bischoff | Anthony Hope Jeffery Krueger –> Justus Seeger | Büttel Bamford Justus Seeger –> Jeffery Krueger | Pirelli Andreas Rainer | Richter Turpin Michael Raschle | Mr. Fogg Radoslaw Rydlewski –> Roland Otto | Ein Vogelhändler Holger Mauersberger | Chor und Orchester der Musikalischen Komödie2

Hier der Link zu einer Rezension auf MusiKultur.com: „In der frisch renovierten Musikalischen Komödie in Leipzig kann der Zuschauer aktuell Cusch Jungs Inszenierung des Sondheim-Musicals „Sweeney Todd“ erleben – mit viel historischem Charme, großartigen Stimmen und einem gehörigen Gruselfaktor.“

Tiefschwarzer Humor – „Sweeney Todd“ in der Musikalischen Komödie Leipzig — MusiKultur.com

23 Fotos zur Berliner Yerma

Die Yerma-Fassung des Regisseurs wurde 2016 im Young Vic Theatre London uraufgeführt (28. Juli – 24. September) und hatte vom 26. Juli bis 31. August 2017 dort erneut einen Shorttermrun. Titelheldin Billie Piper wurde extrem oft ausgezeichnet und es gab den Laurence Olivier Award for Best Revival. 2018 war die Produktion dann für sechs Wochen im Park Avenue Armory in New York City zu sehen.
Jetzt in Berlin die (vormals verschobene) Neueinstudierung mit dem Ensemble der Schaubühne und Simon Stone.

Yerma
von Simon Stone nach Federico García Lorca, aus dem Englischen von Brangwen Stone

Deutschsprachige Erstaufführung am 27. Juli 2021 im Saal A der Schaubühne Berlin, eine Produktion des Young Vic Theatre London

Regie: Simon Stone | Bühne: Lizzie Clachan | Kostüme: Alice Babidge | Musik und Ton: Stefan Gregory | Licht: James Farncombe | Dramaturgie: Nils Haarmann
Yerma: Caroline Peters | John: Christoph Gawenda | Maria: Jenny König | Victor: Konrad Singer | Helen: Ilse Ritter | Désirée: Carolin Haupt

Hinweis: Die Zuschauer sitzen auf zwei Tribünen sich gegenüber und die Schauspieler spielen auf einer Fläche, die beidseitig von Glasscheiben begrenzt ist. Zu hören sind sie über Mircoports.
Aktuell werden alle Sitzplätze verkauft (anfangs nur jeder Zweite), was damit den Maskenzwang die ganze, pausenlose Vorstellung von 106 Minuten Dauer impliziert.

Fotos © Frank Wesner

Mord im Orientexpress 2021 im Schiller Theater Berlin © Frank Wesner

18 Fotos zum Berliner Auftakt von Mord im Orientexpress

Mord im Orientexpress [Murder on the Orient Express]
von Agatha Christie, für die Bühne bearbeitet von Ken Ludwig, Deutsch von Michael Raab,
bearbeitet von Katharina Thalbach für die Komödie am Kurfürstendamm im Schiller Theater

Deutsche Erstaufführung am Samstag, den 24. Juli 2021, an der Komödie am Kurfürstendamm im Schiller Theater Berlin.
Die Uraufführung war am 17. März 2017, The McCarter Theatre Center for the Performing Arts, Princeton, New Jerey, USA; Die Deutschsprachige Erstaufführung am 21. November 2019, Theater in der Josefstadt, Wien, Österreich.

Regie: Katharina Thalbach | Co-Regie & Choreographie: Christopher Tölle | Bühne: Momme Röhrbein | Kostüm: Guido Maria Kretschmer | Musik: Christoph Israel | Video: Maximilian Reich
Hercule Poirot: Katharina Thalbach | Monsieur Bouc: Tobias Bonn | Mary Debenham: Anna Thalbach | Hector MacQueen: Alexander Dydyna | Michel, der Schaffner: Max Gertsch | Prinzessin Dragomiroff: Andreja Schneider | Greta Ohlsson: Nadine Schori | Gräfin Andrenyi: Nellie Thalbach | Helen Hubbard: Christoph Marti | Colonel Arbuthnot: Raphael Dwinger [2020 angekündigt: Kai Maertens] | Samuel Ratchett: Mat Schuh | Hildegard Schmidt: Wenka von Mikulicz | Tänzer/innen: Julian Bender, Carmela Bonomi, Kai Braithwaite, Abby Cheng, Sarah Julia Evertz, Tim Olcay, Eleonore Turri, Nigel Watson | Statisten/innen: Josué Moy De Almeida, Sixto Hernandez Barrios, Elias Gabele, Martina Pietroni

Fotos © Frank Wesner

Cyrano – Große Nase, Großer Dank

Kurz nach Beginn war schon in der Szene mit der Schreibblockade des Cyrano-Dichters Edmond Rostand klar, dass dies ein grandioser Abend wird. Wie Regisseur Christopher Tölle die Schauspieler spielerisch gemeinsam atmen und agieren lässt plus die Einspielungen des mit Filmmusik sehr erfahrenen Komponisten Marian Lux geben dem hinreißenden französischen Stück Tempo und Theaterträume. Ganz verstärkt – nicht nur durch die vielen Mehrfachrollen – entsteht Ensembletheater, wie ich es schätze und liebe. Und die Komödie am Kurfürstendamm hat wundervoll besetzt. Manche bringen Gripstheatererfahrungen mit und ein paar spielten früher in Potsdam.

Philip Butz ist absolut überzeugend und präzise als sein Stück immer wieder neu erfindender Dichter. Auf Dirk Schoeden als Cyrano-Darsteller hatte ich mich ebenso auf ein Wiedersehen gefreut, da er viele Facetten in einer bzw. seinen zwei Figuren zeigen kann.
Das Bühnenbild eher minimalistisch mit Möbeln, die fließend schnell gestellt und verräumt werden. Dazu wunderbare Kostüme (alles von Heike Seidler), die die Figuren immer erzählen und dabei den Darsteller nicht verstecken oder verkleiden. Selbst wenn sie eine Türklingel mit Kommentar spielen.

Für mich ist dies der ganz große Wurf der Theatersaison 2021, die ja erst im Juni vor Publikum starten durfte. Das selbiges dann auffällig nicht erscheint im endlich warmen Sommermonat plus nerviger Testpflicht und Maskenzwang ist keineswegs verwunderlich. Immerhin entfiel in Berlin inzwischen das permanente Masketragen am vereinzelten festen Sitzplatz.
Großen Dank für den Theaterzauber, der Mitfiebern lässt und Haltung zeigt.

Vorhang auf für Cyrano [Edmond]
Buch von Alexis Michalik | Deutsch von Kim Langner

13. Juni bis 4. Juli 2021 in der Komödie am Kurfürstendamm im Schiller Theater Berlin, Voraufführungen 11. und 12. Juni

Regie: Christopher Tölle | Bühne und Kostüm: Heike Seidler | Komposition: Marian Lux |
Rosemonde, Rosine, Ankleiderin, Nonne: Vanessa Rottenburg | Maria, Jacqueline, Roxane: Birthe Wolter | Jeanne, Marceline, Adele, Roxane: Esther Agricola | Sarah Bernhardt, alte Mimin, Kellnerin, Suzon: Michaela Hanser / Bianca Karsten | Edmond Rostand: Philip Butz | Ange, Clarétie, Kritiker, Gast, Carbon, Fotograf, Fahrer: Peer Martiny | Madame Honoré, Alte Rampensau, Journalist, De Guiche, Le Bret: Adisat Semenitsch | Léo, Christian: Frédéric Brossier | Feydeau, Méliès, Lucien, Maurice Ravel, Tchechow, Schaffner, Vicomte de Valvert, Nonne: Oliver Dupont | Marcel, Gewandmeister, Direktor, Rezeptionist, Le Bret: Jörg Seyer | Coquelin, Stanislawski, Cyrano: Dirk Schoedon | Jean, Courteline, Zugführer, Gerichtsvollzieher, De Guiche, Ragueneau, Nonne: Lorris Andre Blazejewski / Björn Harras

Vorhang auf für Cyrano [Edmond] – Buch von Alexis Michalik | Deutsch von Kim Langner – 13. Juni bis 4. Juli 2021 in der Komödie am Kurfürstendamm im Schiller Theater Berlin

Heißer Sommer in the Heights

Endlich kommt die Verfilmung des Bühnenmusicals „In the Heights“ in die Kinos. Fünf verschiedene Inszenierungen des quasi Erstlings von Hamilton-Creator Lin-Manuel Miranda (zusammen mit Autor Quiara Alegría Hudes) durfte ich bisher emotional durchleben. Der Film will sich bewusst in vielen Punkten von seiner eigenen Vorlage lösen und unterscheiden. Was für ein Vorhaben!

Und trotzdem bleibt der Film sehr dicht am Zauber und der Magie der Bühne. Auch wenn quasi unendlich viele Filmstile der Musicalfilme Hollywoods zitiert werden. Beispielsweise geht es zur sommerlichen Abkühlung ins Schwimmbad inklusive eines Synchronwasserballetts – wenn auch nur sehr sehr kurz. Ebenso tanzen Menschenmassen auf einer der New Yorker Stadtteilkreuzungen. Ebenso kann entlang der Häuserfronten entgegen der Schwerkraft getanzt und gesungen werden. Warum? Egal! Es ist einfach nicht nur groß, sondern groß gedacht und großartig gemacht. Vielleicht manchmal auch etwas zu viel.

Usnavi (von allen Seiten hochgelobt: Anthony Ramos) ist nicht nur (wieder) der Erzähler, sondern leitet die Rückblende, die noch eine magische Überraschung bereit hält. An seiner Seite zwei Musicaldarsteller aus der Originalinszenierung. Olga Merediz ist als Ziehoma Abuela Claudia einfach göttlich und frisch – und gar nicht eine Rolle spielend, mit der sie im 37 Arts Theater (Off-Broadway) und Richard Rodgers Theatre New York über tausend Mal auf der Bühne zu erleben war. Der Bühnenusnavi ist jetzt als Eisverkäufer Piragüero / Piragua Guy unterwegs und bringt sichtlich noch mehr gute Laune. Es ist der Komponist Lin-Manuel Miranda (Jack in Mary Poppins Returns, 2018).

Auffallend auch das gute Design – nicht nur des Films – der Werbekampagne mit Charakterpostern und Stationenplakaten. Es wurde sogar mit stilisierten Grafiken gearbeitet. Und was bleibt plötzlich davon übrig: drei sich sonnende Frauen (vom Beautyshop) auf der Mauer! Hier bricht das absolute Klischee ein, was vorher so geistreich, vielschichtig vermieden werden konnte.

Wurde das Lied „Home All Summer“ extra für eine mögliche Oscar-Nominierung von Miranda neu für den Film geschrieben? Die Latin-Pop-Nummer ist während des Abspanns zu hören. 1999 entstand die erste Stückfassung an der Wesleyan University, 2007 bis 2009 dann auf New Yorker Bühnen, am 6. Mai 2015 die deutschsprachige Erstaufführung am Konservatorium Wien Privatuniversität, am 28. Mai 2016 die deutsche Erstaufführung am Gymnasium Lohne und 2019 dann die Verfilmung an Originalschauplätzen im Norden von Manhattan. Dem Film und den weiteren Kinoprojekten von Miranda ist größtes Interesse zu wünschen, denn dann realisieren sich seine zukünftigen Kinoprojekte bestimmt einfacher. Vielleicht haben auch mehr Theater Lust, dieses zeitkritische Stück für ihre Bühnen zu öffnen.

Frank Wesner

In the Heights – ab 22. Juli 2021 in den deutschen Kinos

In the Heights
USA 2019 / ab 22. Juli 2021 in den deutschen Kinos
, 143 Minuten, deutsche Dialoge und Lieder im Original

Regie: Jon M. Chu | Drehbuch: Quiara Alegría Hudes | Produktion: Anthony Bregman, Quiara Alegría Hudes, Mara Jacobs, Lin-Manuel Miranda, Scott Sanders | Musik: Lin-Manuel Miranda, Alex Lacamoire, Bill Sherman | Kamera: Alice Brooks | Schnitt: Myron Kerstein

Anthony Ramos: Usnavi de la Vega | Lin-Manuel Miranda: Piragua Guy | Melissa Barrera: Vanessa | Stephanie Beatriz: Carla | Jimmy Smits: Kevin Rosario | Dascha Polanco: Cuca | Ariana Greenblatt: junge Nina | Corey Hawkins: Benny | Susan Pourfar: Hannah Hathaway | Daphne Rubin-Vega: Daniela | Olga Merediz: Abuela Claudia | Leslie Grace: Nina Rosario

Mehr als erstaunliche Manns

Selten konnte ich in der letzten Zeit so gelungenes politisches Theater mit Haltung erleben wie gerade im Renaissance Theater Berlin mit „Amazing Family – Die Reise der Familie Mann“. Gar nicht alle Manns werden portraitiert oder gar gradlinig nacherzählt. Es wird gestritten und behauptet. Eher werden Momente und Reaktionen gezeigt – und das meist mit Originalzitaten von oder über diese historischen Persönlichkeiten. Was sperrig klingt und wahrscheinlich inhaltlich gar nicht gefallen will, ist umso überzeugender in der Aussage und als Theaterspiel. Das schlaue Stück von Regisseur Torsten Fischer und Ausstatter Herbert Schäfer schon vor drei Jahren geschrieben, sollte am 3. Mai 2020 uraufgeführt werden und besticht nun seit dem 27. Juni 2021 mit mehrfacher Zeitlosigkeit. Das muss erst einmal gelingen und es ist großartig gelungen! Die Zuschauer strömten in das von Guntbert Warns seit dieser Spielzeit geleitete Theater.

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Peter Kremer in Amazing Family – Die Reise der Familie Mann – Uraufführung am 27. Juni 2021 am Renaissance Theater Berlin © Frank Wesner

Natürlich bin ich vom großen Spielertheater begeistert. Zum einen glänzen die Schauspieler*innen durch Doppelrollen – gerade diese Gegensätze geben Facetten Raum. Rauch von Zigarren liegt zusammen mit fein gesetzten Sprechpausen in der Luft. Dazu gibt Peter Kremer das Familienoberhaupt und Bruder Thomas Mann als intellektuellen Überlegenen, der viel zu spät erkennt, dass er vor seinem Volk, was ihn schätzt und er liebt, längst hätte fliehen müssen. Thomas Mann möchte in Deutschland der 1930er bleiben und nicht durch Flucht den aufkommenden Machthabern moralisch in die Hände spielen. Peter Kremer kann diesen Zwiespalt wunderbar aufzeigen und mit Nachdruck die Fragen dieses Zeitzeugen verdeutlichen. Trotz der immer wieder auftretenden Zeit- und Ortsprünge in der Entwicklung des Stücks kann Dank diesem präzisen Ensemblespiel der Zuschauer gespannt folgen und Parallelen ziehen. Zu den Manns gesellt sich noch Opportunist Gustaf Gründgens bzw. Hendrik Höfgen, den Intendant Guntbert Warns mit mephistolischer Lust verkörpert.

Eine klare Kostümsprache mit wenigen Veränderungen plus einen bühnengroßen Spiegel parallel zum Publikum sind zentrale Elemente der Ausstatter Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos. Wenig entfaltet große Wirkung auf der kleinen Bühne des einzig vollständig erhaltenen Art-Déco-Theaters Europas. Das führt auch zum Glanz der UFA mit Fräcken und Zylindern plus gemeinsamen Gesang. Harry Ermer hat die musikalische Leitung vom Flügel rechts vor der Bühne aus. Manche musikalische Ergänzung kommt zudem aus den Lautsprechern.

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Amazing Family – Die Reise der Familie Mann – Uraufführung am 27. Juni 2021 am Renaissance Theater Berlin © Frank Wesner

Torsten Fischer schafft es in diesen fast zwei Stunden an Text und Informationen plus Pause die Spannung auf das unweigerlich Kommende aufrechtzuhalten. Spielszenen schaffen Abwechslung obwohl oder trotzdem das Siebenerensemble fast immer vollständig auf der Bühne steht. Einzig der (zeitliche) Aufwand mit dem zusätzlichen umgekippten, dritten Tisch – von Technikern mühsam auf die Bühne gezerrt weil so schwer – will mir nicht einleuchten, wo doch kaum etwas dazu gewonnen wird außer jegliches Timing zunächst zu verlieren. Aber der Regisseur hat sein Stück und die Manns gekonnt im Griff, kann die Zuschauer in den Bann ziehen und ihnen einen Spiegel vorhalten. Was für ein grandioser Abend! Zum Ansehen und Erstaunen bestens empfohlen.

Die eigenen Fotos zu dieser Produktion sind hier im Blog zu finden.

Amazing Family – Die Reise der Familie Mann
von Torsten Fischer und Herbert Schäfer

Uraufführung am 27. Juni 2021 am Renaissance Theater Berlin

Regie: Torsten Fischer | Ausstattung: Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos | Musikalische Leitung: Harry Ermer
mit Peter Kremer (Thomas Mann), Markus Gertken (Heinrich Mann / Hans Otto), Imogen Kogge (Katia Mann / Therese Giehse), Boris Aljinović (Klaus Mann), Judith Rosmair (Erika Mann / Elisabeth Bergner), Guntbert Warns (Gustaf Gründgens – Hendrik Höfgen), Noëlle Haeseling (Ein junges Mädchen / Pamela Wedekind / Nicoletta von Niebuhr / Sängerin – Trude Hesterberg / Nelly, Heinrichs zweite Frau), Harry Ermer (Piano)

Amazing Family – Die Reise der Familie Mann – Uraufführung am 27. Juni 2021 am Renaissance Theater Berlin © Frank Wesner
Eine Stimme für Deutschland

musicalischer Wahlkampf mit der UdK

Gefallen hat mir diese „Eine Stimme für Deutschland“ durchaus, auch wenn ich die eingebauten Selbstreferenzen auf das Theater am Gelungensten fand und die Geschichte insgesamt (wieder einmal) viel zu wenig Haken schlug bei (notwendigen) etlichen Verästelungen. Jedenfalls waren Gags wie „Psst, sonst ist der ganze Spannungsbogen für die Zuschauer hin“ sehr gekonnt und niemals billig eingebaut. Aber nach circa 40 Minuten folgen urplötzlich zwei Szenen, die nur darauf abheben, den nicht vorhandenen Exmann und Familienvater eben nicht näher zu thematisieren. Und die Überraschung sollte dann am Ende keineswegs mehr überraschen, denn als Alina Deutschmann ist Joel Zupan besetzt. Somit nicht ganz der Drehpunkt (und die Klasse) wie vom Musical „Hairspray“.

Deutschland mit seinen drei Flaggenfarben dient als stilisierter, schräger Tritt- und Tanzboden für ein Ensemble von acht Kommilitonen des 3. Studienjahrs der Musical/Show-Klasse der UdK Berlin. Nur ein kurzer Hinweis, dass zwei Studenten seit Studienbeginn den Jahrgang verlassen haben und sie zu Beginn zu zehnt waren. Die große Herausforderung aller, circa 16 jährige Schüler oder auch deren Elternteile zu spielen, gelingt erwartungsgemäß. Aber mit ihrer Lust am Spiel dieser Wahlkampffarce zeigen sie ihre Talente und Können. Gerade von der Figur des neuen, naiven und alles kommentierenden Mitschülers habe ich mir sogar mehr Sprüche und Randbemerkungen gewünscht. Naturgemäß entstehen Favoriten unter den acht Hauptrollen.

Selten haben mich Thomas Zaufkes Melodien so an Alan Menken erinnert und weniger an Zaufke. Trotzdem wird gekonnt mit Stilen und Ensembles facettenreich hantiert und ich wünsche sehr dem Musical und mir eine CD-Aufnahme. Auch Peter Lunds träumerischen Lieder von einem respektvollerem Zusammenleben bestechen durch ihre Klarheit und Aussagekraft. Die kleine Band ist halb versteckt ins angrenzende Studio (aka frühere Garderobe) gesteckt worden, so dass die breite Bühne sich ausbreitet vor circa 60 Zuschauern in einem wirklichen Schachbrettsitzplan mit genauer Abwechslung. Niemand darf zusammen sitzen, was noch mehr Beinfreiheit beschert. Dafür haben viel zu wenige die Chance, dieses Musical als Statement zur undurchsichtigen politischen Lage Deutschlands zu erleben.

Eine Stimme für Deutschland
Die musikalische Quittung
Musik: Thomas Zaufke | Text: Peter Lund

Uraufführung am 11. Juni 2021 (bis 25. Juli 2021) in der Neuköllner Oper Berlin, Kooperation mit dem Studiengang Musical/Show der UdK Berlin

Regie: Peter Lund | Musikalische Leitung: Hans-Peter Kirchberg / Tobias Bartholmeß | Arrangements: Markus Syperek | Choreografie: Cristina Perera | Bühne und Kostüm: Ulrike Reinhard
Regula Hartmann-Hagenbeck: Veronika de Vries | Claudia Zweitens: Clarissa Gundlach | Albert von Mattersdorf: Soufjan Ibrahim | Sophie Hartmann-Habenbeck: Maria Joachimstaller | Anuk Gritli Hürlimann: Gwen Johansson | Adolf „Dolfi“ Obermeyer: Fabian Sedlmeir | Gerlind Deutschmann: Mascha Volmershausen | Alina Deutschmann: Joel Zupan
Musiker*innen: Jo Gehlmann/Peter Geltat (Gitarre), Markus Syperek/Vitaliy Kyianytsia (Klavier), Leonardo von Papp (Schlagzeug), Ralph Gräßler (Bass), Hans-Peter Kirchberg/Tobias Bartholmess (Synthesizer)

Eine Stimme für Deutschland
Eine Stimme für Deutschland – Uraufführung am 11. Juni 2021 (bis 25. Juli 2021) in der Neuköllner Oper Berlin, Kooperation mit dem Studiengang Musical/Show der UdK Berlin

Sonntäglicher Tatort in Strausberg

Nun war es endlich wieder so weit. Seit 4. Juli 2021 wird im Amphitheater des Lakeside Burghotels Strausberg wieder Theater live und leicht distanziert gespielt. Die Zusammenarbeit von Berliner Kriminal Theater und dem 4-Sterne-Hotel hat sich in den vergangenen gut 12 Jahren bewährt. Jeden Sonntag jeweils um 20.00 Uhr bis zum 29. August 2021 gastieren Komödien mit krimineller Energie.
Zunächst vier Mal „Der Tatortreiniger – Zwei Episoden aus der populären TV-Krimi-Serie von Mizzi Meyer“: „Ganz normale Jobs“ und „Nicht über mein Sofa“. Zwei Vierzigminüter quasi zur Primetime. Dieser Abend ist seit dem 25. September 2019 im Repertoire (eigentlich aus drei Teilen bestehend) und jetzt merklich frisch und pointiert geboten im Schauer freien Sommerabend.
„Zwei wie Bonnie & Clyde“ folgt dann fünf Mal sonntäglich im ganzen August 2021.
Und vor allem macht die Brandenburgische Lage des Lakeside Burghotels östlich von Berlin in der S5-Region mit nur der Auflage zum Abstand den Besuch sehr angenehm. Den Anstand verlieren die Rollen und das Amüsement gewinnt der Zuschauer.
Mehr Bilder und Informationen über „Der Tatortreiniger“ sind hier im Blog zu finden.