Komödie im Käfig von Magdeburg

Die Premiere der Musical Comedy „La Cage aux Folles“ sollte ein großer Abend werden. Vieles war wunderbar gelungen, das Spiel war exzellent, die Travestie mit Zauber, das Orchester im Graben groß aufgestellt. Standing Ovations waren zu erwarten – wie damals das „Parkettbeben“ bei der Premiere am 2. November 1996 im damaligen Ausweichquartier Theater am Jerichower Platz, Magdeburg (Regie: Herbert F. Schubert).

Die Magdeburger Schauspieldirektorin und Regisseurin Cornelia Crombholz arbeitete die Dialoge extrem flott, Pointen reich, präzise, unterhaltend und mit vielen verteilten Extras im ersten Teil. Choreograph David Williams bediente die große Revue, ließ es Strahlen und verzauberte die Zuschauer. Der musikalische Leiter Hermann Dukek erzeugte einen durchsichtigen Klang, auch wenn er dabei mächtig das Orchester disziplinieren musste (Blechbläser im Musical hört man immer heraus) und die singenden Schauspieler sehr unterschiedlich waren. Frei im Rhythmus und in den Vamps im Musical ist man nicht an jeder Stelle … Trotzdem gelungen. Wesentlich besser mit der Vorstellungsanzahl wird hoffentlich die versagende Tonabteilung. Mitten in Albins lyrischem „Lied am Strand“ geht seine Microporteinstellung verloren, so dass es dumpf und wie verstopft klingt. Doch das Microport wird nicht ausgetauscht oder der (nicht vorbereitete) Ersatz angeschaltet, denn wenn das Paar wieder zu Hause ankommt, wurden am Regler die richtigen Einstellungen wieder gefunden. Ärgerlich.
Neben Darstellern und Extramusikern müssen eben die Stadttheater auch Gäste für das Tondesign engagieren – es gibt ja Tonmeisterstudiengänge und viele Showerfahrene.

Extravagante Roben gibt es im Kostümbild, viele Boas, Federn und Perücken. Auch nackte Haut zeigen die sechs Ballettcagelles und die vier Musicaldarsteller. Den Chor dann im Finale in Faschingskostüme auf die Bühne des Clubs zu stellen, konnte ich nicht verstehen. Doch hier deutet sich schon eine der merkwürdigsten Regieentscheidungen an: Soll der Petticoat uns in die konservativen 1960er Jahre versetzen? Warum bloß? Zur Erinnerung: die französische Boulevardkomödie stammt von 1973, das hier gespielte Musical von 1983. Also wesentlich später!
Denn mit dem Verlegen in ein „gutes schlechtes Damals“ nimmt die Regisseurin die politische Realität des Heute (in Sachsen-Anhalt – es gibt ja immer wieder Verweise in den Saal hinein). Sie setzt voll auf Komödie, was gelingt, und kneift vor wahren Momenten. In der grandiosen Inszenierung von Sebastian Ritschel in Görlitz kann jeder sehen, wie da plötzlich dem Publikum der Atem stockt.

Auch die Bühne empfand ich nur halb gelungen. Marcel Keller nutzt die Drehscheibe, teilt sie in vier unterschiedlich große Räume, wobei der kleine Club „La Cage aux Folles“ ausgerechnet den größten Anteil bekommt. Es schließt die Künstlergarderobe der Cagelles an sowie Wand-an-Wand die breite Wohnung von Georges und Albin. Die hat einen Balkon zur Straße hin, die aber den kleinsten Teil der Drehscheibe abbekommen hat, sodass noch durch eine weitere Tür gegangen werden muss. Vielleicht ist der Balkon auch zu einem ungestalteten Innenhof hinaus.
Chez Jacqueline sieht so aus, als wenn der Chor hinter Tapeten versteckt werden und nicht mitspielen sollte. Dafür gibt es vorne über die Bühne ein großes Passepartout mit Schriftzug und Lämpchen. Nun ja.

Der Männerkuss erst am Ende des Stücks? Die Regisseurin bringt ihn als Höhepunkt – wie vielleicht gerade noch in den 1990ern! Vieles in dieser Richtung wirkt verklemmt retrospektiv, was aber gerade das Stück ja eben nicht ist. „Ich bin, was ich bin“ mit der Perücke auf dem Kopf zu singen, um am Ende erst den Mut zu haben … nun ja.

Das dies Andreas Lichtenbergers erster Albin ist, spüre ich schon. Er zeigt beides: den liebenden, verletzlichen Albin und die strahlende Zaza. Der erfahrene Hauptdarsteller füllt beide Facetten überzeugend aus. Für seine (nur eine) Conference kommt er wegen großem Orchestergraben leider nicht dicht ans Publikum und hat zuviel „Mary“ statt „Andreas“ im Gepäck. An seiner Seite auch der herrliche Spielpartner Sebastian Reck als Georges, der grandiose Dialoge liefert und mit seinen Conferencen glänzt.
Anthony Kirby spielte die Zofe Jacob schon in der Potsdamer Inszenierung und wird sie sicherlich noch oft und überall zeigen. Das muss man gesehen haben. Auch seine lustvollen Liedzitate, mit denen es ihn immer wieder auf die Bühne zieht, lassen sein Können in Gesang und Bewegung immer wieder erkennen. Spätestens hier zum Entdecken.

Thomas Schneider und Iris Albrecht spielen jede Kleinigkeit der Dindons aus. Sie verraten nicht ihre Figuren. Durch die Bessenheit entsteht eher Mitgefühl für die überholten, konservativen Einstellungen. Francis bekommt Extraaufgaben und eine Soloconference, was Raimund Widra alles sehr überzeugend zu nutzen weiß. Susi Wirth macht hingegen aus ihrer Jacqueline eine überdrehte Nervensäge.

Raphael Gehrmann und Jenny Langner können als Jean-Michel und Anne Dindon noch lockerer werden – und vor allem aufbegehrender und souveräner. Immerhin haben ihre beiden Eltern zunächst etwas gegen die geplante Hochzeit. Sie als Brillenschlange mit Motorroller hatte ich auch noch nicht gesehen.

Insgesamt ist die Musical Comedy, was „La Cage aux Folles“ in erster Linie ist, sehr gelungen. Das Spiel ist ausgezeichnet und besser als der Gesang, was aber bei einem Ensemble großteils aus Schauspielern nicht verwundert. Der Tanz bringt die große Revue auf die Bühne. Doch die politische und emotionale Brisanz vermisse ich.

Ein Käfig voller Narren – La Cage aux Folles
Musik und Gesangstexte von Jerry Herman, Buch von Harvey Fierstein, Deutsch von Erika Gesell und Christian Severin

Premiere am Samstag, 13. Februar 2016, 19.30 Uhr im Opernhaus des Theaters Magdeburg

Musikalische Leitung: Hermann Dukek | Regie: Cornelia Crombholz | Choreografie: David Williams | Bühne: Marcel Keller | Kostüme: Marion Hauer | Dramaturgie: Ulrike Schröder

Albin: Andreas Lichtenberger | Georges: Sebastian Reck | Jacob:Anthony Kirby | Jean-Michel: Raphael Gehrmann | Anne Dindon: Jenny Langner | Monsieur Dindon: Thomas Schneider | Madame Dindon: Iris Albrecht | Jacqueline: Susi Wirth | Francis: Raimund Widra | Mercedes: Jürgen Strohschein | Chantal: Laurent N’Diaye | Hanna: Sven Niemeyer | Phädra: David Schuler | Die übrigen Cagelles Elio Clavel, Pavel Kuzmin, Andreas Loos, Daniel Ojeda, Raúl Pita Caballero, Adam Reist

ungekennzeichnete Fotos: Andreas Lander. Veröffentlichung honorarfrei, alle weiteren: Frank Wesner

Cage aux Folles, La 20160213 Theater Magdeburg - Banner

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