Blondinen bevorzugen Fortsetzungen

740 Vorstellungen ensuite von „Gentlemen Prefer Blondes“ machten nur Carol Channing in der Rolle der blonden Lorelei Lee zum Star. Das Musical selbst, die Autoren und auch die anderen Mitwirkenden in den 647 Tagen im Ziegfeld Theatre am New Yorker Broadway vom 8. Dezember 1949 bis 15. September 1951 schafften es mit „Blondinen bevorzugt“ nicht. Die Verfilmung von 1953 half extrem, dass dieses Musical nicht in absolute Vergessenheit geriet – und es unterscheidet sich extrem von der Bühnenvorlage nebst Handlung, Szenen und Songs. Jane Russell war damals schon ein Star, Marilyn Monroe wurde gerade ein Weltstar.

Eigentlich ist die Werksgeschichte interessanter als die an einigen Stellen seicht zusammengestrickte Story von zwei Freundinnen auf Überseefahrt, die ihr Lebensziel in reicher Heirat und bleibenden materiellen Werten sehen. 1925 veröffentlichte Anita Loos ihren gleichnamigen Roman, den sie 1926 in ein Schauspiel umarbeitete und der 1928 noch als Stummfilm gedreht wurde. Über 20 Jahre später verarbeitete sie ihren Personage zusammen mit Joseph Fields zum Musical, wo Leo Robin die Gesangstexte und Jule Styne die Melodien beisteuerten.

Die Filmkomödie von 1953 unter der Regie von Howard Hawks dann mit teilweise anderer Musik und vielen verändernden Ideen wurde ein richtig großer Erfolg im Kino. Und dieser Umsatz sollte gleich wiederholt werden, denn selbst „Gentlemen Prefer Blondes“ hatte 1927 mit „But Gentlemen Marry Brunettes“ schon eine Romanfortsetzung durch Anita Loos. Die Verfilmung davon durch Regisseur Richard Sale war 1955 kein Erfolg und in Deutschland unter „So liebt man in Paris“ zu sehen.
Wenn Kinofortsetzungen schon damals nichts Neues waren, so bleiben sie für die Theaterwelt oft ungewöhnliche Einzelfälle. Für Carol Channing – inzwischen nicht mehr 28 sondern 53 Jahre jung – als Legende, Zugpferd und Starvehikel zur Vermarktung gab es ein Wiedersehen mit der nächsten Generation in „Lorelei“. Mit einem neuen Pro- und Epilog hieß es für 320 Vorstellungen (und 11 Voraufführungen) vom 17. bzw. 27. Januar bis 3. November 1974 im Palace Theatre in New York „Gentlemen Still Prefer Blondes“. Kenny Solms und Gail Parent schrieben das Buch und Jule Styne komponierte hierfür zusätzliche Songs mit Gesangstexten von Betty Comden und Adolph Green. Die verwitwete Lorelei erinnert sich an die Umstände ihrer Vermählung…
Die Titelfigur in „Hello, Dolly!“ spielte Carol Channing übrigens in drei Ensuiteproduktionen: 1964 bis 70, dann 1978 und dann mit fast 75 Jahren noch einmal 1995/96!

Von „Lorelei“ ist keine Produktion in Deutschland bekannt. Aber „Gentlemen Prefer Blondes“ schaffte es sogar ein einziges Mal auf eine deutsche Bühne: Am 31. Dezember 1988 war die deutschsprachige Erstaufführung im Stadttheater in Pforzheim-Osterfeld – also dem alten Theaterstandort. Deutsche Dialoge von Gabrielle Peter, deutsche Gesangstexte von Beate Rygiert-Schmidt. Ronald F. Stürzebecher führte Regie und Jeremy Hulin hatte die Musikalische Leitung („erst im Laufe des Abends in ansprechender Form“) bei der Choreographie von Valerie Aris („saß wie maßgeschneidert“). Die „schwungvolle“ Orchestrierung besorgte damals Volker M. Plangg („Nicht hoch genug zu loben“). Schon damals bemerkte der Chefredakteur der (damalig so betitelten) Zeitschrift „Das Musical“ im Februar 1989 auf Seite 16: „Da müsste dringend am Buch gefeilt werden … etliche gelungene, amüsante Szenen, die sich allerdings nicht aneinander reihten.“
Denn nicht nur die heutzutage (und eigentlich auch damals) schon zu hinterfragenden Werte und Partnerschaftsvorstellungen der Protagonisten sind ein Problem des Musicals, sondern schlichtweg auch die oft aneinander gereiht wirkenden Szenen und Spielorte. Vom Hafen in New York aus startet das Passagierschiff „Île de France“ Richtung Paris, was ja bekanntlich nicht am Meer liegt. Dann ein paar Szenen in der französischen Hauptstadt nebst Cabaret. Das Ensemble auf der Bühne und auch im Orchestergraben ist nicht gerade klein und braucht individuelle Könner überall, auch im Chor und Ballett. Immerhin ist sachlich richtig, dass die Olympischen Sommerspiele 1924 in Paris stattfanden und dorthin die Tänzer bzw. die Olympioniken reisten. Operetten ähnlich gibt es dann schnell noch das Finale in New York nebst – nicht der Erbtante sondern – dem versöhnten Vater. Da mag man eher ungern ins Detail schauen…

Der Berliner Bühnenverlag Felix Bloch Erben vergab schon 2013 den Auftrag, das Stück neu zu übersetzen durch Christian Gundlach (Dialoge) und Edith Jeske (Songtexte). Die 22 Lieder inklusive Reprisen sind nicht wirklich bekannt. Hier lohnt sich immer wieder der Blick auf die äußerst gelungenen Details der Neudichtung, die Schwung, Witz und Wirkung zeigen. So bleibt nicht nur das Titellied im Gedächtnis, sondern natürlich der Diamanten-Evergreen und auch Dank des „widerlichen Kerls“ „Das kleine Mädchen von Little Rock“.
Aber auch in Deutschland ergibt sich eine außergewöhnliche Fortsetzung. Nachdem die durch die Pandemie erzwungen verschobene Erstaufführung an der Staatsoperette Dresden erst am 23. Oktober 2021 ins Repertoire startet, wechselt das Musical den Verlag zur Concord Theatricals Collection (da bei Tams-Witmark) zur Neustrelitzer Premiere, die nicht ganz einen Monat später am 14. November 2021 folgt.

Da das nicht ganz unproblematische Buch immer wieder zu neuen Lösungen führen wird, ist dem Musical „Blondinen bevorzugt“ („Gentlemen Prefer Blondes“) eine weiter spannende Werkgeschichte und vor allem Fortsetzungen mit Inszenierungen zu wünschen.

Frank Wesner

Blondinen bevorzugt - Gentlemen Prefer Blondes
Blondinen bevorzugt – Gentlemen Prefer Blondes

3 Gedanken zu “Blondinen bevorzugen Fortsetzungen

  1. Super recherchiert. Das Team der Dsprea in Pforzheim ist mir perfekt bekannt mit Jeremy Hulin und Valerie Aris hab ich so manches musical gemacht und volker natürlich auch… ist ja bekannt. Lorelei sah ich in NY, woran ich mich kaum erinner, bis auf Carol Chaning, die mich aber erst richtig begeisterte als alte Hello Dolly. Da wartete ich auf sie an der Bühnentür…. und sie kam… und erblödete sich nicht mit dem young man from germany zu plaudern. Dresden habe ich im Dezember auf der Agenda… Doch erst mal heut!!!Mal sehn wie sich die Story anschaut…. Bis gleich, Dein Hartmut

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  2. gerlinde.seeger@hotmail.de schreibt:

    Danke, lieber Frank, haben Dir denn die „Dresdner Blondinen“ gefallen? Schön, dass man von Dir immer so gut informiert wird über „Geschichte“ und Hintergründe etc.

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