Ich hatte angenommen, einen „historischen“ Film über die viel zu seltene westdeutsche NS-Verbrechensaufklärung zu sehen. Stattdessden gibt es einen spannenden Krimi über Politik, Netzwerke, Machenschaften, der heute noch Gültigkeit hat. Das ist ganz großes Kino.
Der hessische Generalstaatsanwalt will untergetauchten NS-Tätern den Prozess machen. Doch in den eigenen und kooperierenden Behörden wird alles getan, ihn und sein Team zu schwächen. Denn ansonsten käme Adenauers Leiter des Bundeskanzleramtes in Erklärungsschwierigkeiten. So wird vertuscht und verschleiert.
Dieser Kampf ist auch ein persönlicher. Regisseur Lars Kraume ist da schonungslos. Burkhart Klaußner gibt großartig den mürrischen und altersweisen Fritz Bauer, dessen Frau weit weg ist und seinem ebenfalls bisexuellen Staatsanwalt Karl Angermann (großartig: Ronald Zehrfeld) versucht zur Seite zu stehen. Doch der wird vom BKA erpresst, da eine transsexuelle Sängerin ihn verrät. Diese Victoria wird von Lilith Stangenberg nett gegeben. Zwei eindeutig zweideutige Chansons wurden extra für sie geschrieben (zur ansonsten exzellenten Musik von Julian Maas & Christoph M. Kaiser). Aber unerklärlich bleibt, warum die Rolle nicht direkt mit einem feminin wirkenden männlichen Schauspieler besetzt werden konnte.
Nicht zu vergessen auch der Humor (Drehbuch: Lars Kraume & Olivier Guez), der den ganzen Film durchzieht und für Lebendigkeit wie auch reflektierende Distanz sorgt.
Ein großartiger Film, der nicht nur zu einem Zeitdokument wird, sondern auch viel einer unterhöhlten Demokratie zu sagen hat. Und Fragen von gestern und heute aufwirft.
Der Staat gegen Fritz Bauer
Deutschland 2015 / ca. 100 min.
Kinostart: 01.10.2015
Mit Burghart Klaußner, Ronald Zehrfeld, Lilith Stangenberg, Sebastian Blomberg, Jörg Schüttauf, Laura Tonke, Götz Schubert, Rüdiger Klink, Michael Schenk u.a.
Regie: Lars Kraume / Drehbuch: Lars Kraume & Olivier Guez / Kamera: Jens Harant / Ton: Stefan Soltau / Schnitt: Barbara Gies / Szenenbild: Cora Pratz / Kostümbild: Esther Walz / Musik: Julian Maas & Christoph M. Kaiser
Produktion: zero one film, in Koproduktion mit Terz Film, WDR, HR und ARTE
Verleih: Alamode Film